Freitag, 25. April 2014
Warum nur ich (Version.1.)
Mein Schlafzimmer ist in einer hellen, grünen Farbe getaucht. Als ich mit eleganten und langsamen Schritten hereinkomme, blinzle ich mehrmals um die verschwommenen Umrisse des Raumes zu erkennen. Die Sonne wirft, durch die vielen Glasfenster an meiner Wand, mattes Licht auf den braunen Teppich der vor meinen Füßen liegt. Links von mir steht ein großes Himmelbett, aus weisem Mahagoni, mit eingeritzten, kunstvollen Engeln und mysteriösen Figuren, sowie mit blauen, fast schon durchsichtigen Vorhängen. Meine Eltern erinnern mich ständig daran, wie wertvoll dieses Bett ist und dass es viel Geld und Zeit benötigt hat. Mein Blick schweift über das altertümliche Gemälde, welches entspannt, auf der mit einer grünlichen Farbe bemalten Wand, ruht. Schweigend beobachte ich die wenigen Häuser auf dem Bild. Es ist ein schönes und friedliches Dörflein voller Menschen.
Manche Männer stehen um einen vollen Tisch, mit Bierkrügen in den Händen, einige tanzen lachend mit Frauen und Kindern. Ein kleines, junges Mädchen reitet, mit ausgestreckten Armen, auf einer Kuh. Sie trägt, wie alle anderen, alte Kleider mit unzähligen Löchern und Rissen.
Ihre Kleidung ist vollkommen verstaubt und dreckig, doch das scheint ihnen nix auszumachen.
Ich denke wieder an das fröhliche Kind auf der Kuh. Neben ihr steht ein junger, aber kräftiger Mann, vielleicht ihr Bruder, und dahinter sind ein Haufen Kinder. Sie spielen mit kleinen, weisen Steinen oder werfen den Hunden lange, dicke Äste zu oder flechten sich die Haare.
Mit langsamen Schritten trete ich näher. Meine Hand berührt sanft das Pergament auf dem das Bild gemalt wurde. Eines der Kinder, ein kleines Mädchen hat eine Brezel in der Hand, die sie an alle verteilt. Jeder hat ein Stück und dabei sind es so viele Kinder und die Häppchen sind so klein. Sie sind fast schon unsichtbar wenn man bedenkt, dass ich tag täglich vor einem überfüllten Tisch sitze und an mehreren Speisen herumkaue.
Ich bin so egoistisch. Akzeptiere die Beschwerden der anderen am Tisch, während diese Kinder sich um einen Bissen einer Brezel freuen.
Diese Menschen sind arm. Ärmer als ich. Sie haben keine abertausend Diener um sich und sie tragen auch keine handgefertigte, wunderschöne, atemberaubende Ballkleider wie ich.
Aber sie wirken so glücklich. Glücklicher als ich.
Sie sind Frei!
Seufzend wende ich mich vom Bild ab und laufe geschmeidig auf die Kommode zu meiner Rechten zu. Sie besteht, wie das Bett, aus teurem Mahagoni.
Kühl rieche ich an den Rosen ist der Vase, die ich von meinen Eltern zur Verlobung bekommen habe, bevor ich mich vor die Kommode knie und die unterste Schublade nach außen ziehe.
Bunte Tücher, in allen Farben die man sich vorstellen kann, springen in alle Seiten hinaus. Die meisten Fallen vor meine Füße. Mit einer flinken Handbewegung schiebe ich sie zur Seite und beuge mich über die Schublade. Vorsichtig sehe ich mich um, bevor ich meine Hand hastig hineinstecke. Niemand darf mich dabei sehen! NIEMAND!
Meine Finger berühren den Einband aus Leder und die Fäden an der Seite. Ich spüre die Gravierung eines Vogels auf der Vorderseite. Meine Hand zittert vor lauter Angst.
Ich schaffe es nicht, das Buch nach draußen zu ziehen und es mir anzulesen. Es ist hoffnungslos.
Ich zwinge mich einen tiefen Atemzug zu machen und meine Hand herauszunehmen. Schließlich stopfe ich alle Tücher wieder hinein und stehe auf.
Tränen stehen in meinen Augen. Betrübt starre ich auf den Boden. Ich habe Angst. Todesangst.
Aber was ich kann schon tun? Ich kann mich nur meinem Schicksal ergeben. Mein Herzklopfen wird langsamer und sanfter, dennoch ringe ich nach Luft. Mit meinen dürren Fingerspitzen fahre ich auf der Oberfläche der alten Kommode entlang und denke verzweifelt an das Geheimnis, das im Buch steht. Nur ich weiß es. Nur ich weiß, was in diesem Buch steht. Und ich wünsche mir nichts mehr als, das niemand, egal ob Freund oder Feind, davon erfährt. Vorsichtig drehe ich mich um und laufe langsam auf mein Bett zu. Ich reiße die langen Vorhänge zur Seite und werfe mich kreischend auf die weiche Matratze. Meine Augen sind fest geschlossen. Ich schreie so laut ich kann und schlage mit meinen Armen um mich herum. Warum ich? Warum muss genau ich das Geheimnis vor allen verstecken? Kann es nicht jemand anderes machen? Ich will nicht, dass mein Leben davon abhängt ob jemand das Buch liest oder nicht. Jeder Knochen und jede Ader schmerzt. Kreischend schlage ich mit schmerzenden Fäusten gegen die Wand . Wieso nur ich? Zornerfüllt werfe ich das Bettbezug auf den Boden, bevor ich meine Kleidung mit einem qualvollen Japsen zerreiße. Jede Bewegung schmerzt wie nichts anderes. Jeder Atemzug, jeder Herzschlag und jeder einzige Moment. Ich vergrabe mein Gesicht in der warmen Matratze und rieche den frischen Duft von Lavendeln ein. Wie konnte es nur dazu kommen? Wie nur? Langsam stehe ich auf. Mein ganzer Leib zittert, obwohl mir warm ist. Ich habe Angst. Die Welt wäre besser ohne dieses Geheimnis. Das Geheimnis das keiner kennt. Außer mir. Ich bin die einzige, die das Buch jemals gelesen hat. Behutsam laufe ich zur Kommode, öffne die Schublade, werfe alle Tücher hinaus und taste aufgeregt nach dem Buch. Meine Finger berühren den weichen Einband, als ich es herausziehe. Die Welt wäre besser ohne dieses Geheimnis und mich! Niemand wäre in Gefahr. Mit sanft geschlossenen Augen laufe ich zum Balkon. Wenn ich springe, kann jeder davon erfahren. Das Geheimnis wäre dann bedeutungslos.
Und ich müsste nicht zusehen, wie auch die letzten von diesem Buch erfahren. Ich blicke furchtlos in die Tiefe. Unter mir ist ein tosender Wasserfall. Lohnt es sich zu sterben? Ich lehne mich so weit wie möglich nach vorne, das Buch fest unter meinen Arm. Das Geheimnis muss zerstört werden! Wortlos lausche ich dem zischenden Wasser und rieche die frische Frühlingsluft. Wie lange habe ich noch die Möglichkeit dazu? Werde ich fallen und an dem Geruch meines Blutes ersticken? Ich breite meine Hände aus. Wasser spritzt auf meinen Körper. Wird es sich bald schon dunkelrot verfärben? Werde ich dann schon Tod sein? Wird ein armer Fischer, meine kalte, blasse, leblose Leiche finden und mich mit einem Netz herausziehen? Ich kreische mit aller Kraft und so laut ich kann. Nein! Ich muss nicht sterben! Es hat keinen Zweck! Ich muss nur das Geheimnis für immer zerstören, mehr nicht. Dann kann ich weiterleben wie zuvor, als ich es noch nicht gelesen habe. Das Buch fällt ins Wasser. Die tobende Strömung treibt es mit. Das letzte Mal werfe ich den nassen Blättern einen letzten Blick zu, bevor ich wieder ins Zimmer gehe um zu schlafen. Das Buch, mitsamt dem Geheimnis, ist zerstört. Wenn nicht, mir doch egal. Denn jetzt erst, kann ich wieder leben.So als hätte ich das Buch nie in der Hand gehabt und nie gelesen. Ich juble vor Freude und werfe mich aufs Bett. Warum habe ich das nicht schon vor Jahren getan? Mein Jubeln wird lauten. Das Geheimnis ist besiegt. Ich weine vor Freude. Alle meine Ängste sind verschwunden. Sie sind nur noch ein bedeutungsloses Nichts.
Dann wache ich auf. An meinen Händen sind fest gebundene Fesseln. Ich wehre mich nicht dagegen. Vor meinen Augen liegt das Buch und ich lese das Geheimnis. Um mir herum sind hunderte Menschen. Niemand wird mir ein Wort glauben, wenn ich die Wahrheit erzähle.Egal was ich sage. Sie werden mich für eine Verrückte halten. Niemand wird auch nur daran denken, dass es stimmen könnte. Alle werden nach den Wörtern im Buch handeln. „Also, Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“ fragt der Richter mit einer ernsten Stimme. Und als niemand hinsieht sehe ich sein Schadenfrohes Lächeln.

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Nice :)
Echt schön, aber das mit dem Selbstmord finde ich echt grauenvoll. Trotzdem gut geschrieben :)

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